Cristino wurde nur zwei Jahre im Rennsport eingesetzt, weil er zuletzt an Lungenbluten litt. Direkt im Anschluss gelangte er über Umwege in private Hand. Doch auch dort fand er keinen Lebensplatz und wurde wieder zum Verkauf angeboten.
Anfang 2007 fand ich sein Inserat im Internet & war sofort angetan. Dabei konnte & wollte ich weder ein Pferd kaufen, noch sollte es jemals ein Schimmel sein! Angeguckt, verliebt, gekauft.
Leider hatten wir einige, gesundheitsbedingte Startschwierigkeiten. Trotzdem ist Cristino durch seinen besonderen Charakter immer mein Seelenpferd geblieben. Über die Zeit sind wir zum Westernreiten gekommen - hier zeigt er eine Gelöstheit & einen Arbeitswillen, wie ich ihn zuvor nicht gekannt habe.
Mehr über uns erfahren Sie im Anhang ..
Cristinos persönliche Geschichte
(geschildert von Nicole Billaudelle)
Was soll ich sagen?
Cristino und damit generell ein Pferd zu kaufen, war wohl die unvernünftigste und zeitgleich beste Entscheidung, die ich je getroffen habe.
Rein aus Interesse habe ich über ein paar Jahre hinweg immer mal wieder Inserate von Vollblütern angeschaut. Seit ich mit 15 auf der Rennbahn Neue Bult in Langenhagen ins Renntraining reinschnuppern durfte, hatte es mir diese Rasse einfach angetan.
Klar war aber, dass ich mir kein Pferd kaufen kann. So kurz nach der Ausbildung, zu Beginn des Berufslebens. Und wenn doch - dann auf keinen Fall einen Schimmel. Und nur ein ausgebildetes Pferd, und überhaupt ..
Und dann war es da - Tinos Inserat. Er stand gar nicht weit weg - in Bielefeld. Ohne weiter nachzudenken, hatte ich den Hörer bereits in der Hand und seine damalige Besitzerin am Telefon. Gut - also gab es einen Familienausflug nach Bielefeld, bei dem man sich nebenbei ein Pferd anguckt. So hatte ich es zumindest meiner Familie verkauft.
Komischerweise hatte ich sicherheitshalber einen Kaufvertrag ausgedruckt, mein Vater heimlich eine Anzahlung dabei.
Der Rest ist eine Geschichte aus dem Bilderbuch - er wurde ablongiert vorm Reiten, die Trense riss, er bockte und tobte, kam mit den Vorderbeinen über die Longe - und blieb schlussendlich bei mir stehen, beruhigte sich. Ich konnte ihm die Trense von der Brust abnehmen und er schnüffelte durch mein Gesicht.
Tja. MEINER.
Dass er danach beim Reiten vollkommen kurz und aufgerollt lief, beim Aufsteigen von 2 Mädchen festgehalten wurde - hat mich alles nicht mehr interessiert. Von außen betrachtet würde man wohl sagen; dümmer geht´s nimmer.
Und ja - die Rechnung bekam ich auch. Kaum Zuhause, sprang er mir bei den ersten Reitversuchen um die Ohren, schien Gurt- und Sattelzwang zu haben und war insgesamt sehr unausgeglichen. Hm. Mist. Ratlosigkeit, Verzweiflung, Angst.
Viele Schläge, wenig Rat.
Also - machte ich das, was ich am besten kann - auf meinen Bauch hören. RESET. Alles auf Anfang. Ich ließ Tino in der Klinik auf KissingSpines,oder sonstige Erkrankungen prüfen. Herauskam - Verknöcherungen am Nackenband, wenig Rückenmuskulatur, etwas enger zusammenstehende Wirbel im Lendenbereich, aber alles soweit okay. Das Hauptproblem war sein Kopf, nachdem er monatelang mit einem unpassenden Sattel geritten wurde.
Also beschloss ich, dass wir uns erstmal kennenlernen und er im Wesentlichen Muskulatur & Vertrauen aufbauen muss. Das hieß im Klartext: Spaziergänge bis zum Umfallen, Longieren über Stangen, Bodenarbeit, Gymnastik an der Hand, bis ich das Gefühl hatte, wir versuchen es nochmal. Das war nach 6 Monaten der Fall.
Und siehe da - ich behielt Recht.
In den ersten Monaten entstand so auch dieses Portal - die Rennpferde-Rente. Zu Beginn sollte es nur eine Seite über den Hof sein, an dem wir standen. Da wir nahe dem Trainingsgelände der Neuen Bult angesiedelt waren, lebten hier seinerzeit 7 ehemalige Rennpferde in privater Hand, u.a. Cliffhanger, Alpha Guest, Cyklotron und Mandeltraum.
Alle Pferde waren unterschiedlich und fanden auf ihrem Weg nach der Rennkarriere einen neuen Einsatz als Reit- und Freizeitpferd. Ich war damals froh um die Mädels, die mit ihrer langjährigen Erfahrung aus dem Rennsport Tipps für mich hatten. Widerum hatte keine von ihnen je mit dem "normalen Reitsport" zu tun. Ich wollte mehr, als nur ausreiten. Und Tino war jung.
Auf der anderen Seite standen die klassischen Reitpferd-Besitzer, von denen es eher dumme und vor allen Dingen ungefragt wenig hilfreiche Kommentare gab, im Zweifel sogar Abwertungen, was ich überhaupt mit "dem" wolle.
In der Mitte standen wir - ein unsicherer, vorbelasteter Ex-Galopper und eine Besitzerin, die zwar beide Seiten (Renn- und Reitsport) kennengelernt hatte, aber mit wenig Erfahrung in der Neu-Ausbildung.
So blieb mir nur, unserer beider Mitte zu finden und auf uns zu vertrauen. Ich wollte teilen, mich austauschen und nicht zuletzt auch anderen Mut machen, an sich selbst zu glauben. Das war und ist bis heute der Grundgedanke der Rennpferde-Rente.
Tino entwickelte sich nach und nach von einem skeptischen zu einem mutigerem Pferd. Vom Boden vertraute er mir vollständig, vom Sattel aus musste ich ihm erst beweisen, dass ich ihm kein Unrecht tun würde, bevor wir überhaupt mit der Arbeit beginnen konnten.
An spannigen Tagen (Wind & Regen sind nicht seins, theoretisch würde er in Afrika leben wollen) setzte ich mich nie sofort in den Sattel - ein paar Runden Trab im leichten Sitz kamen ihm immer entgegen.
Weder am Sattel, noch an der Unterlage habe ich jemals gespart. Es darf gern ein Halfter für 9,95€ sein, aber für den Rücken gibt es entweder Qualität, oder nichts. Bis heute begutachte ich das Schweißbild quasi schon intuitiv und kann mich darauf verlassen, dass er es mir eh zeigt, wenn etwas nicht passt.
Positive Erfahrungen sollten sich in seinem Kopf über negative Erfahrungen legen und ich kann heute sagen - das haben wir geschafft. Es hat Jahre gedauert, bis er sich den Sattel ganz ohne Augenrollen auflegen ließ. Heute ist nur noch ein kurzes Gezicke an der Tagesordnung, aber das ist erlaubt. Solange nicht in meine Richtung gezickt wird - das ist unser Deal. ;)
Nach einer Babypause von knapp 1,5 Jahren und einem leider sehr schlechten Zustand, in dem ich ihn wieder abholen konnte, weiß ich auch, dass man nicht jedem ein Pferd anvertrauen kann. Manchmal erst recht nicht denen, die sich als "Pferdeleute" bezeichnen.
Zu meiner großen Freude wurde er aber sehr schnell wieder gesund und rundherum "Pferd". Alle Grundsteine, die wir vor der Pause gelegt hatten - waren immer noch abrufbar und gespeichert.
Es begannen neue Zeiten, in denen Tino zum festen Familienmitglied wurde und auch mal Mutter & Tochter (er-)tragen musste, Der Kreis schloss sich - das Vertrauen war unendlich und nun konnten die ersten, fordernderen Aufgaben angegangen werden - ohne, dass er alles hinterfragt hat.
So gerieten wir eigentlich mehr aus Zufall zum Westernreiten - und das war der Beginn einer ganz großen Entwicklung.
Aus Tinos Akzeptanz & Vertrauen in die Arbeit wurde Leidenschaft.
Er wandelte sich von einem "Nein-muss-das-sein" in ein "Was-machen-wir-heute"-Pferd. So gelöst, arbeitswillig und neugierig habe ich in vorher nicht erlebt.
Die Nase im Sand, den Rücken zur Sonne und ein pendelnder Schweif wurden Tagesordnung. Schulter-Herein, Innen- und Außenstellung, Joggen = Lieblingsprogramm. Gymnastik rauf und runter - er ist dabei.
Und dennoch ist er bis heute ein Routinepferd geblieben. Veränderungen aller Art verunsichern und stressen ihn, Auch sein Vertrauen schenkt er nicht jedem. Wir sind wie ein altes Ehepaar. Auf 100m Entfernung kann ich ihn lesen und entscheiden, was heute unser Ziel ist. Manchmal sind es kleine Brötchen, manchmal große Kuchen, die wir backen. Ich habe nie von ihm erwartet, konstant zu sein. Und je weniger ich das tue, desto mehr schenkt er mir genau diese.
Er ist mein Lebenspferd. Charakter. Lehrpferd. Seele.
Ich glaube nicht, dass es jemals eine vergleichbare Geschichte & Entwicklung für mich geben wird.
Die letzten 13 Jahre mit ihm haben mein Leben verändert - äußerlich, was mit einem Umzug der ganzen Familie verbunden war, aber noch weitaus mehr innerlich, in dem ich in so vielen Bereichen dazu gelernt habe. Wer ich bin, was mir wirklich wichtig ist, bis hin zu fachlichen Themen wie Fütterung, Hufbearbeitung, Sattellaufbau, etc.
Heute ist Tino 19 Jahre alt. Seit er 10 ist, hat er Melanome. Zu Beginn irrelevant - nur äußerlich, in den Leisten der Oberschenkel. Viele Jahre reichten einfaches Beobachten, in Ruhe lassen und Ignorieren aus. Seit 2 Jahren haben sie sich enorm vermehrt, auch (oder insbesondere) innerlich.
Inzwischen ist nun leider auch klar, dass die Entwicklung einen bösartigen Verlauf nimmt und das Lymphsystem erreicht hat.
Was wir machen ist, unsere Tage zu genießen, Mit ganz leichter Arbeit, Spaziergängen und Kopfarbeit. Ich bin da.
Und nun gilt es allmählich, die letzte Lektion zu lernen, die er mich lehren kann - das Loslassen, Und ich weiß, dass dies die schwierigste Aufgabe für mich werden wird.
(Stand: September 2020)